Schreibkraft
Heiner Frost

Sommer. Sonne. Farben satt – Magali Reus im Museum Kurhaus

Magali Reus: Apricots

Es will ja nicht wirklich klappen mit dem Sommer. Vielleicht ist es ja mit ihm wie mit manchem Zug: Fällt aus oder hat Verspätung. Macht aber nix, denn: Der Sommer findet im Museum Kurhaus statt.

Sommermacherin

Magali Reus heißt die Sommermacherin, die ab Sonntag und bis zum 6. Oktober eine Hausbesetzung (sprich: Einzelausstellung) in Kleves guter Kunststube veranstaltet. Der erste Eindruck: Phänomenal. Natürlich: Man kann Begleittexte lesen und erfahren, dass … geschenkt. Man kann aber auch einfach losmarschieren und schnell erfahren, dass Reus nicht nur Räume in Beschlag nimmt, indem sie Bilder oder Objekte anbringt. Die Wände werden darüber hinaus zu Musterträgern. Nein, man spaziert nicht (die Älteren von uns werden sich erinnern) durch ein museal gewordenes Tapetenmusterbuch – die Wände werden zu Stimmungsaufhellern. Die aufgemalten Muster verbreiten – freilich nur unterschwellig – die Botschaft: Hausbesetzung Zentimeter für Zentimeter.

Erdteilbesuche

Die einzelnen Stationen der Ausstellung fühlen sich an wie Erdteilbesuche – fußläufig, versteht sich. Man läuft durch ein Wunderwerk von assoziativen Möglichkeiten. Man bringt eigene Vergangenheiten, Gegenwarten und Zukünfte mit und bei Letzteren taucht – ganz unscheinbar nur – die Idee auf, dass man vielleicht nicht mehr zu den Teilnehmern gehören wird. Trauer? Iwo. Da sind ja Reus‘ Lebendigkeiten. Man steht unter alten Straßenlaternen und irgendwie aus der Hirnrinde taucht eine Melodie auf. Worte kleben an ihr: „… und steht sie noch davor, so woll‘n wir uns da wiederseh‘n …“

Der Witz des Melancholischen

Reus schafft diese Verbindung aus Melancholie einerseits und Witzigkeit andererseits. Nichts stehthängtliegt einfach undechiffriert im Raum. Nichts ist enträtselt und eben da liegt der Lustgewinn: In der zu erbringenden Eigenleistung. Reus arbeitet mit Reihungen – Wiederholungen, aber man muss begreifen, dass Wiederholung fast nie nur Wiederholung ist. Jede Wiederholung ist Aussage: Verstärkung, Abschwächung, Bestätigung, Infragestellung. Reus, denkt man sich nach der dritten Runde durch die Ausstellung, ist eine von denen, die das Allgegenwärtige mit Zauber einhüllen und es somit der Banalität entreißen können. Reus ist eine, die dem Material Fragen stellt, ohne es in Frage zu stellen.

Dialog der Zeitalter

Und ganz nebenbei treten Zeitalter in Dialoge ein. Heiligenfiguren hier – scheinbar zu Besuch aus dem Mittelalter – treffen auf ein nie reales Heute. Fotos an der Wand tragen ihre Titel im Bild – eigentlich sind es keine Titel: Es sind Beschreibungen. Aber die Titel rutschen aus dem Bild – hinterlassen eine eindeutige Spur: Man denkt die Worte zu Ende wie eine unterbrochene Kreislinie. Ist am Ende doch nicht alles einfach farbenhell? Sind die Wandmuster das Trostpflaster beim Zugrundegehen? Vielleicht muss man einen Buchstaben einarbeiten – vielleicht muss aus dem Zugrundegehen ein Zum-Grunde-Gehen werden. Reus liefert eine scharfkantig gedachte Analyse des Jetzt – lässt nichts aus; und die Heiligenfiguren werden plötzlich zu Ratlosen, zu Zeugen einer Verirrung. Vielleicht fehlt auch hier ein Buchstabe: Aus Verirrung wird Verwirrung. Kunst ist die Lösung am Ende eines Problems. Für den Künstler. Für das Publikum türmen sich Fragen auf und sollen nicht beantwortet werden, denn eine finale Antwort, eine, die als gültig daher käme, ist nichts als ein offenes Fenster gleich neben einem Kartenhaus. Wem der Sommer fehlt, der sollte ins Kurhaus gehen. Die Denktemperatur ist hoch – vielleicht gerät man ins Schwitzen, aber das schadet nicht.